Theorie der bewusst gewählten kollektiven Dummheit

Mechanismen, Dynamiken und Gegenstrategien

Anke Münchrath und Hans Mund

Zusammenfassung der Prämisse

Die Theorie der bewusst gewählten kollektiven Dummheit geht davon aus, dass gesellschaftliche Strukturen, psychologische Mechanismen und politische Dynamiken Individuen dazu bewegen, konformes Verhalten zu zeigen. Dadurch werden innovative oder abweichende Ideen systematisch unterdrückt. Eine solche Gesellschaft orientiert sich an den niedrigsten intellektuellen und moralischen Standards, die von den herrschenden Akteuren vorgegeben werden. Ziel dieser Analyse ist es, die zugrunde liegenden Mechanismen zu identifizieren und wirksame Gegenstrategien zu entwickeln, um diese Dynamiken zu überwinden.


Beispiele für die Theorie der bewusst gewählten kollektiven Dummheit

Um die Theorie greifbarer zu machen, lassen sich verschiedene historische, gesellschaftliche und politische Kontexte analysieren, die ihre Mechanismen verdeutlichen:

1. Die Finanzkrise 2008: Gruppenverhalten und systematische Ignoranz

Vor der globalen Finanzkrise 2008 wurden massive Risiken im Bankensektor bewusst ignoriert. Die Mechanismen der kollektiven Dummheit zeigten sich in:

  • Konformitätsdruck: Kritiker der exzessiven Kreditvergabe und der Verbriefung von Subprime-Hypotheken wurden als pessimistisch oder innovationsfeindlich abgestempelt.
  • Narrative Kontrolle: Banken und Regierungen propagierten die Illusion unendlichen Wachstums und ignorierten Warnsignale von Ökonomen.
  • Systematische Ignoranz: Der Glaube an die Rationalität der Märkte führte dazu, dass offensichtliche Risiken systematisch unterschätzt wurden.
  • Kurzfristige Scheinlösungen: Anstatt strukturelle Probleme zu lösen, wurden Banken mit Steuergeldern gerettet, wodurch das bestehende System erhalten blieb.

2. Klimawandel-Leugnung: Narrative Kontrolle und Vereinfachung

Der Klimawandel ist eines der am besten dokumentierten wissenschaftlichen Phänomene, dennoch wird er in vielen gesellschaftlichen und politischen Kreisen systematisch geleugnet. Mechanismen der kollektiven Dummheit:

  • Macht durch Vereinfachung: Wissenschaftliche Erkenntnisse werden durch vereinfachte, populistische Gegennarrative ersetzt („Klimawandel hat es schon immer gegeben“).
  • Faktenignoranz: Die immense Menge an Beweisen wird durch selektive Wahrnehmung und gezielte Desinformation untergraben.
  • Filterblasen und Echokammern: Soziale Medien verstärken Bestätigungsfehler und verhindern, dass Menschen sich mit abweichenden Meinungen auseinandersetzen.

Beispiel: Die Ölindustrie finanzierte jahrelang Kampagnen zur Verbreitung von Zweifel an der Klimawissenschaft, ähnlich der Taktik der Tabakindustrie in den 1950er Jahren („Merchants of Doubt“, Oreskes & Conway, 2010).

3. Covid-19-Pandemie: Bürokratische Trägheit und Gruppenpolarisierung

Die globale Reaktion auf die Pandemie war geprägt von irrationalen Verhaltensweisen:

  • Kognitive Dissonanz: Viele Menschen leugneten die Bedrohung, um nicht mit der Realität konfrontiert zu werden.
  • Populistische Narrative: Politiker vereinfachten die Krise, um Zustimmung zu gewinnen („Es ist nur eine Grippe“).
  • Bürokratische Trägheit: Viele Länder reagierten zu langsam, weil bestehende Strukturen Innovation und Flexibilität verhinderten.
  • Selbstselektion inkompetenter Eliten: Politiker wie Bolsonaro oder Trump inszenierten sich als „Anti-Experten“, um wissenschaftsfeindliche Narrative zu verstärken.

4. Bürokratische Ineffizienz in Deutschland: Das BER-Desaster

Der Bau des Flughafens Berlin Brandenburg (BER) zog sich über Jahrzehnte hin, verursacht durch:

  • Regulierungswahn und Selbstzweck der Bürokratie: Einfache Entscheidungen wurden durch ineffiziente Strukturen blockiert.
  • Peter-Prinzip: Führungskräfte wurden nicht nach Kompetenz, sondern nach Netzwerken und Anpassungsfähigkeit ausgewählt.
  • Falsche Konsensbildung: Niemand wagte, die offensichtlichen Missstände zu kritisieren, aus Angst vor politischem Schaden.

5. Wissenschaftsfeindlichkeit und Populismus in Bildungssystemen

In vielen Ländern ist ein systematischer Niedergang der Bildung zu beobachten, insbesondere in den USA:

  • Kreationismus vs. Evolutionstheorie: Die Ablehnung wissenschaftlicher Erkenntnisse in Schulbüchern.
  • Narrative Kontrolle: Politiker stellen sich als Beschützer traditioneller Werte dar, um kritisches Denken zu unterdrücken.
  • Faktenblindheit: Studien zeigen, dass Menschen mit geringem Bildungsniveau weniger bereit sind, ihre Überzeugungen anzupassen (Nyhan & Reifler, 2010).

Beispiel: In Florida wurden unter Gouverneur Ron DeSantis Lehrpläne verändert, um die Auseinandersetzung mit Rassismus und Kolonialismus zu reduzieren.

Mechanismen und Dynamiken

1. Anerkennung und Bestätigung

Menschen streben danach, von ihrer sozialen Umgebung anerkannt und akzeptiert zu werden. Um Konflikte zu vermeiden, passen sie ihre Meinungen und Verhaltensweisen an die herrschenden Normen an. Solomon Asch konnte mit seinen Konformitätsexperimenten zeigen, wie stark der Druck einer Gruppe das Verhalten von Individuen beeinflussen kann, selbst wenn die Gruppenmeinung offensichtlich falsch ist (Asch, S. E. (1956)). Moderne Technologien wie soziale Medien verstärken diesen Mechanismus erheblich. Algorithmen schaffen Anreize für performatives Verhalten, das auf Anerkennung durch Likes und Kommentare abzielt, wodurch Konformität nicht nur gefördert, sondern belohnt wird (Pariser, E. (2011)).


2. Macht durch Vereinfachung

Komplexe gesellschaftliche und politische Probleme werden von Machtstrukturen vereinfacht dargestellt, um narrative Kontrolle auszuüben. Dies reduziert die Möglichkeit kritischer Auseinandersetzung und fördert eine passive Akzeptanz vorgegebener Lösungen. Michel Foucault beschreibt, wie die Regulierung von Diskursen und Wissen dazu verwendet wird, Machtstrukturen zu stabilisieren und alternative Perspektiven zu marginalisieren (Foucault, M. (1975)). Populistische Diskurse nutzen diese Dynamik gezielt, um komplexe Probleme in moralische Dichotomien zu reduzieren (Laclau, E. (2005)). Die Folge ist eine Stärkung bestehender Machtverhältnisse und die Marginalisierung differenzierter Stimmen, wie Michel Foucault in seinen Arbeiten zur Regulierung von Diskursen und Machtstrukturen aufzeigt. Foucault argumentiert, dass die Kontrolle über Diskurse und Wissen genutzt wird, um herrschende Positionen zu stabilisieren und alternative Perspektiven systematisch auszuschließen (Foucault, M. (1975)).


Ein konkretes Beispiel ist die Debatte um den Klimawandel, in der populistische Akteure gezielt wissenschaftliche Erkenntnisse delegitimieren, um Handlungsunfähigkeit zu erzeugen. Naomi Oreskes und Erik Conway (2010) analysieren in „Merchants of Doubt“, wie gezielte Kampagnen Desinformation nutzen, um wissenschaftliche Konsense infrage zu stellen. Jan-Werner Müller (2016) beschreibt zudem, wie Populisten Narrative der Wissenschaftsfeindlichkeit fördern, indem sie Expertenwissen als elitär und realitätsfern darstellen.

3. Systematische Ignoranz

Bildungs- und Informationssysteme sind oft so gestaltet, dass sie Kreativität und kritisches Denken hemmen. Der Dunning-Kruger-Effekt verdeutlicht, wie mangelnde Kompetenz dazu führt, dass Menschen ihre Fähigkeiten überschätzen und sich weniger kritisch mit neuen Informationen auseinandersetzen. Dadurch entsteht eine systematische Ignoranz, die Innovation blockiert (Kruger, J., & Dunning, D. (1999)). Zusätzlich verstärken sozioökonomische Ungleichheiten diese Dynamik: Unterfinanzierte Bildungseinrichtungen konzentrieren sich häufig auf funktionale Kompetenzen, anstatt kritisches Denken zu fördern, wodurch systematische Ignoranz in benachteiligten Bevölkerungsgruppen weiter verstärkt wird (Reay, D. (2017)).

4. Bildungssysteme

Bildungssysteme spielen eine zentrale Rolle bei der Perpetuierung der Mechanismen kollektiver Dummheit. Wie Paulo Freire (1968) in „Pedagogy of the Oppressed“ aufzeigt, fördert das traditionelle Bildungssystem ein „Banking-Modell“, bei dem Wissen passiv vermittelt wird. Lernende werden nicht dazu ermutigt, kritisch zu hinterfragen oder eigenständige Ideen zu entwickeln. Ähnlich argumentiert Diane Reay (2017), dass sozioökonomische Ungleichheiten im Bildungssystem systematisch reproduziert werden, da benachteiligte Gruppen oft nur Zugang zu funktionaler Bildung haben, die auf Compliance und nicht auf Kreativität abzielt. Diese Dynamiken zementieren die soziale Hierarchie und verhindern eine breite Verankerung kritischen Denkens in der Gesellschaft. Ken Robinson (2015) zeigt zudem auf, wie starre Bildungssysteme dazu führen, dass kreative Potenziale und divergentes Denken systematisch unterdrückt werden, was den Weg zu konformistischem Verhalten ebnet.

5. Narrative Kontrolle

Definition und Mechanismen: Narrative Kontrolle bezeichnet die gezielte Gestaltung von Diskursen, um Machtverhältnisse zu sichern und alternative Perspektiven zu marginalisieren. Dies erfolgt durch die Kontrolle über Medien, Sprache und öffentliche Debatten. Pierre Bourdieu hat hierzu Pionierarbeit geleistet, indem er zeigte, wie symbolische Macht genutzt wird, um gesellschaftliche Hierarchien zu legitimieren (Bourdieu, 1991). Populistische Akteure nutzen narrative Kontrolle, um wissenschaftliche oder differenzierte Perspektiven als elitär oder irrelevant darzustellen (Oreskes & Conway, 2010; Müller, 2016; Fieschi, 2019).

Beispiel: Die öffentliche Debatte um den Klimawandel illustriert, wie narrative Kontrolle eingesetzt wird, um Handlungsspielräume einzuschränken. Populisten oder Lobbygruppen verbreiten vereinfachte Narrative, die wissenschaftliche Unsicherheiten betonen, um politisches Handeln zu verzögern.


6. Bürokratie

Definition und Mechanismen: Bürokratische Strukturen neigen dazu, Selbstzweck zu werden und Innovation zu behindern. Max Weber bezeichnete dies als „Bürokratischen Momentum“, bei dem starre Regeln und Hierarchien Veränderungen blockieren, auch wenn sie ineffizient sind (Weber, 1922/1978). Reformvorschläge werden oft ignoriert oder abgelehnt, da sie bestehende Machtverhältnisse bedrohen könnten (Hirschman, 1991).

Beispiel: Im Gesundheitswesen zeigen sich häufig bürokratische Hürden, die den Zugang zu innovativen Behandlungsmethoden erschweren. Neue Technologien oder Therapien werden durch langsame Genehmigungsprozesse und starre Regularien verzögert oder blockiert, obwohl sie die Versorgung verbessern könnten.

7. Psychologische Mechanismen

Kognitive Dissonanz: Individuen empfinden einen inneren Konflikt, wenn ihre Überzeugungen und Handlungen im Widerspruch stehen. Um diesen Konflikt zu lösen, passen sie ihre Überzeugungen an die vorherrschenden Gruppennormen an. Leon Festinger beschreibt diesen Prozess als zentrale Strategie, um emotionalen Stress zu vermeiden (Festinger, L. (1957)).

Gruppenpolarisierung: Gruppen tendieren dazu, Entscheidungen zu treffen, die extremer sind als die durchschnittlichen Ansichten ihrer Mitglieder. Cass Sunstein zeigt, wie digitale Plattformen diese Dynamik durch algorithmische Verstärkung verstärken und gesellschaftliche Spaltungen vertiefen (Sunstein, C. R. (2001)). Ergänzend dazu spielt der „False Consensus Effect“ eine wichtige Rolle: Menschen neigen dazu zu glauben, dass ihre Überzeugungen von der Mehrheit geteilt werden, was Konformität weiter fördert (Ross, L., Greene, D., & House, P. (1977)).

8. Faktenignoranz und Faktenblindheit

Die bewusste Vermeidung von Fakten, die bestehende Überzeugungen herausfordern (Faktenignoranz), sowie die Unfähigkeit, Fakten als relevant anzuerkennen (Faktenblindheit), gehören zu den zentralen Dynamiken der kollektiven Dummheit. Naomi Oreskes und Erik Conway zeigen in ihrer Analyse, wie gezielte Desinformation verwendet wird, um wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu untergraben (Oreskes, N., & Conway, E. M. (2010)). Der „Backfire Effect“ verstärkt diese Dynamik, indem Menschen Fakten, die ihren Überzeugungen widersprechen, noch stärker ablehnen (Nyhan, B., & Reifler, J. (2010)).

9. Rolle der sozialen Medien

Soziale Medien fördern die Bildung von Filterblasen und Echokammern, in denen Menschen hauptsächlich Informationen konsumieren, die ihre bestehenden Überzeugungen bestätigen. Eli Pariser beschreibt, wie Algorithmen Inhalte so selektieren, dass Polarisierung und Faktenblindheit verstärkt werden (Pariser, E. (2011)). Ein anschauliches Beispiel ist die Verbreitung von Impfmythen während der COVID-19-Pandemie, die durch emotionale Narrative die öffentliche Gesundheitskommunikation erheblich beeinträchtigt hat.

10. Selbstselektion inkompetenter Eliten

In Hierarchien werden Positionen häufig von Individuen besetzt, die durch Netzwerke und Anpassungsfähigkeit auffallen, aber nicht notwendigerweise durch Kompetenz. Das Peter-Prinzip beschreibt, wie Individuen in Organisationen so lange aufsteigen, bis sie die Grenze ihrer Fähigkeiten erreicht haben (Peter, L. J., & Hull, R. (1969)). Studien zur Meritokratie zeigen, dass Netzwerke sowohl Chancen eröffnen als auch Barrieren für Diversität schaffen. Dies führt oft zu einer Homogenität innerhalb der Eliten, die Innovation hemmt (Khan, S. R. (2011); Young, M. (1958)).

11. Kurzfristige Scheinlösungen

Politische Entscheidungen zielen oft darauf ab, Symptome zu bekämpfen, anstatt die Ursachen gesellschaftlicher Probleme anzugehen. Scheufele und Tewksbury analysieren, wie politische Kommunikation genutzt wird, um kurzfristige Maßnahmen als effektive Lösungen darzustellen und Machtverhältnisse zu erhalten (Scheufele, D. A., & Tewksbury, D. (2007)). Wahlzyklen verstärken diese Dynamik, da Politiker oft gezwungen sind, schnelle Ergebnisse zu liefern, um ihre Wiederwahl zu sichern (Downs, A. (1957); Olson, M. (1982); Besley, T., & Case, A. (1995)). Ein Beispiel ist die Überbetonung kurzfristiger wirtschaftlicher Impulse auf Kosten langfristiger Nachhaltigkeit.


Folgen und Diskussion der Erkenntnisse

Herleitung der Mechanismen und Dynamiken

Die Theorie der bewusst gewählten kollektiven Dummheit identifiziert eine Reihe von Mechanismen und Dynamiken, die dazu führen, dass Individuen konformes Verhalten zeigen und abweichende Ideen systematisch unterdrückt werden. Diese Mechanismen wurzeln tief in gesellschaftlichen, technologischen und psychologischen Strukturen.

Ein zentraler Ausgangspunkt ist der Wunsch nach Anerkennung und Bestätigung. Menschen passen ihre Überzeugungen oft den vorherrschenden Gruppennormen an, da sozialer Ausschluss eine der stärksten Ängste darstellt. Studien, wie die von Asch (1956), zeigen, wie Gruppendruck selbst offensichtliche Wahrnehmungen beeinflusst. In sozialen Medien verstärken Algorithmen diesen Mechanismus, indem sie Inhalte belohnen, die die Meinung der Mehrheit widerspiegeln, während abweichende Perspektiven marginalisiert werden.

Dieser Gruppenzwang wird durch die Macht der Vereinfachung weiter verstärkt. Populistische Narrative reduzieren komplexe Probleme auf einfache Dichotomien („wir gegen die anderen“), um Zustimmung zu gewinnen. Dies führt zu Polarisierung und behindert eine differenzierte Auseinandersetzung mit komplexen Herausforderungen (Foucault, 1975; Laclau, 2005). Vereinfachung mag kurzfristig Aufmerksamkeit und Zustimmung generieren, trägt jedoch langfristig zur Erstarrung gesellschaftlicher Diskurse bei.

Bildungs- und Informationssysteme spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle. Die systematische Ignoranz, die aus einer Fokussierung auf funktionale Kompetenzen resultiert, verhindert kritisches Denken und die Fähigkeit, Missstände zu hinterfragen (Kruger & Dunning, 1999; Reay, 2017). Diese Ignoranz verstärkt sich in sozioökonomisch benachteiligten Gruppen, da ihnen oft der Zugang zu hochwertiger Bildung und Ressourcen fehlt.

Zusätzlich zeigt sich, dass Bildung nicht neutral ist, sondern oft als Instrument genutzt wird, um Machtstrukturen zu erhalten. Bildungssysteme prägen den Diskurs darüber, was als „wertvolles Wissen“ gilt, und marginalisieren Perspektiven, die diesen normativen Ansichten widersprechen. Diese Dynamiken tragen dazu bei, abweichende Ideen systematisch zu unterdrücken und gesellschaftliche Hierarchien zu stabilisieren.

Auswirkungen auf die Gesellschaft

Die beschriebenen Mechanismen wirken zusammen, um eine Fragmentierung der Gesellschaft zu erzeugen. Soziale Medien verstärken diese Fragmentierung, indem sie Filterblasen und Echokammern schaffen, die Polarisierung und Radikalisierung fördern (Pariser, 2011; Vosoughi et al., 2018). In einer solchen Umgebung fällt es Menschen schwer, Fakten von Meinungen zu unterscheiden, und Desinformation wird zur Normalität. Gleichzeitig untergraben diese Dynamiken das Vertrauen in Institutionen und Wissenschaft, was dringend benötigte Innovationen blockiert.

Die Fragmentierung wird durch bürokratische Strukturen und psychologische Mechanismen verstärkt. Bürokratische Systeme erhalten sich oft selbst und verhindern Veränderungen, auch wenn sie ineffizient sind (Weber, 1922/1978). Psychologische Prozesse wie die kognitive Dissonanz oder der False Consensus Effect machen es Individuen schwer, abweichende Perspektiven anzunehmen oder Fehler einzugestehen (Festinger, 1957; Ross et al., 1977). Dies führt zu einer Verhärtung ideologischer Lager und einer Verschärfung gesellschaftlicher Spaltungen.

Fazit

Die Theorie der bewusst gewählten kollektiven Dummheit verdeutlicht, wie soziale, psychologische und strukturelle Mechanismen konformes Verhalten fördern, abweichende Ideen systematisch unterdrücken und bestehende Machtverhältnisse stabilisieren. Die daraus resultierenden Dynamiken behindern Innovation und verschärfen gesellschaftliche Spaltungen, was die Bewältigung globaler Herausforderungen wie Klimawandel, soziale Ungleichheit oder politische Instabilität erschwert.

Um diese Mechanismen zu durchbrechen, sind systemische und individuelle Gegenstrategien notwendig:

  1. Förderung von Medien- und Informationskompetenz: Bildungssysteme sollten kritisches Denken und die Fähigkeit stärken, zwischen Fakten und Meinungen zu unterscheiden (Facione, P. A. (1990)). Diese Kompetenzen sind essenziell, um Desinformation zu erkennen und narrative Kontrolle zu hinterfragen.
  2. Transparente Kommunikation: Wissenschaft und Politik müssen Fakten klar, konsistent und zugänglich vermitteln, um Vertrauen zu schaffen und narrative Immunisierung zu durchbrechen (Scheufele, D. A., & Tewksbury, D. (2007)).
  3. Stärkung pluralistischer Diskurse: Offene und respektvolle Diskussionsräume, die Vielfalt und unterschiedliche Perspektiven einbeziehen, können Polarisierung reduzieren und innovative Lösungen fördern (Page, S. E. (2007)).
  4. Anerkennung von Fehlern: Eine Kultur, die Irrtümer als Lernchancen begreift, ermutigt Individuen und Institutionen, bestehende Überzeugungen zu hinterfragen und sich weiterzuentwickeln (Sunstein, C. R. (2001)).
  5. Diversität und Kreativität fördern: Unterschiedliche Perspektiven helfen, dominante Narrative aufzubrechen und neue Denkansätze sowie Innovation zu ermöglichen (Page, S. E. (2007)).
  6. Reform politischer und bürokratischer Strukturen: Flexiblere und transparentere Systeme können Machtmissbrauch eindämmen, Wandel erleichtern und eine breitere gesellschaftliche Teilhabe fördern (Bourdieu, P. (1991)).

Die Umsetzung dieser Maßnahmen erfordert nicht nur strukturelle Veränderungen, sondern auch ein Bewusstsein jedes Einzelnen für die eigene Verantwortung in sozialen und politischen Prozessen. Nur durch eine Kombination aus individueller Reflexion und systemischen Reformen kann eine Gesellschaft geschaffen werden, die auf Reflexion, Innovation und gegenseitiger Anerkennung basiert.

Quellenverzeichnis

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